Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt; vor Vervielfältigung und/oder Weitergabe setzen Sie sich bitte mit dem Rechte-Inhaber in Verbindung: Peter J. Gollnik, Nierott 30, 24214 Gettorf
Dies ist die Schilderung einer (mehrteiligen) Wanderung: Von den Karpaten durch die Hohe Tatra, die Sudeten, bis ins Erzgebirge, den Böhmer Wald. Und es ist auch die Schilderung einer Begegnung mit der Geschichte.
Poprad-Tatry1): Das hieß auch einmal Deutschendorf2). Heute 56.000 Einwohner, Flugplatz, zwei kleine Kirchen am Marktplatz, alte und neue Bausubstanz chaotisch durcheinander, lebhaftes Touristentreiben, der halbe Liter Bier umgerechnet 60 Cent, sichtbares Bemühen um Sicherheit: Im Zentrum unübersehbare gelbe Schilder, mehrsprachig darauf "Das Gebiet wird beobachtet mit dem Kamerasystem der Stadtpolizei Poprad" - man spricht auch deutsch in Deutschendorf.
Österreich-Ungarn war das einmal, ungarische Großgrundbesitzer herrschten über Jahrhunderte hier, als es Slowaken, aber keinen slowakischen Staat gab. Die Herren aus Ungarn sorgten für Blüte: Aus Sachsen, Thüringen, dem Fränkischen warben sie Handwerker und Händler an - bis bei 80 Prozent soll der deutschstämmige Bevölkerungsanteil in Poprad und 15 anderen ("Zipser"4)) Städten zeitweise gewesen sein. Was seinen Wert hatte: 1412 verpfändete Kaiser Sigmund das ganze Gebiet an Polens König Wladislaw II. für "37.000 Schock böhmischer Groschen" (Schock = 60). Das Geld sahen die Polen nie wieder: Poprad und die anderen verpfändeten Zipser Städte fielen 360 Jahre später mit der ersten Teilung Polens auch so an Österreich zurück. Heute kommt auf tausend Bürger kaum noch ein Karpatendeutscher - in Poprad geben sie dennoch einmal im Monat eine deutsche Zeitschrift heraus, das Karpatenblatt, mit bezahlt vom Kulturministerium der Slowakei.
Bahnhof Poprad5): Postsozialistisches Erinnerungsstück, wuchtig, mit enormer Deckenhöhe, dunkel Holzgetäfteltes, oben, quer über den Normalspur-Gleisen Startrampenlang der Bahnsteig der Schmalspurbahn. Bummelig 12 Kilometer geht's für 20 Kronen (60 Cent) elektrisch von 670 Metern Höhe auf runde 1000, nur mit Adhäsion, Eisenbahnfreunden läßt so etwas das Herz hüpfen.
"Vysoké Tatry" steht als Ortsbezeichnung in der Karte. Vysoké Tatry gilt als Stadt, mit 6000 Einwohnern. Gilt, denn Vysoké Tatry ist keine Stadt: Als administratives Gebilde lassen sich seit 1999 unter diesem Namen 15 Gemeinden von Podbanske bis Kotlina zentral verwalten. "Vysoké Tatry" 6) sitzt in Starý Smokovec. "Alt-Schmecks" hieß das unter den Habsburgern - wegen der säuerlichen Quellen, an denen sich 1794 der ungarische Graf Stefan Csály ein Jagdhaus hinstellen ließ? Schnell waren noch drei Herbergen dazu gekommen, ein Kirchlein, noch mehr Herbergen, und - natürlich - eine Gaststätte. Deren Wirt Juraj Rainer gilt seitdem mit dem Arzt Mikolas Szontágh d.Ä. als Gründer von Schmecks und der Tatra-Klima-Kuren.
Wo Szontagh einst seinen Patienten das saure Wasser verordnete, läßt sich heute gut schlafen. Von der Witwe Mikolas Szontághs (des Jüngeren) höchstpersönlich sei ihm der 1879 in schweizerischem Bergstil errichtete Prachtbau überschrieben worden, erzählt der Ingenieur Anton Vrábel, der die gediegene Villa mit seiner Frau als feines Gästehaus betreibt. Zwischendurch hatte das kommunistische Regime das Gebäude für sich vereinnahmt, 1991 hatte Szontághs Witwe es dank der Restitutionsgesetze zurück erhalten. 2200 slowakische Kronen zahle ich (gerne) laut "Faktúra" vom 30. 9. 2006 für zwei Nächte, etwa 60 Euro - mit opulentem Frühstück im Großen Salon samt Bilderbuch-Aussicht von der Hohen Tatra hinab.
300 Höhenmeter weiter oberhalb verläuft die Tatranska Magistrala an den Südflanken der Ansammlung granitener Zweieinhalbtausender entlang. "Nicht schwer", sagt Anton Vrábel in Szontaghs gemütlicher Villa. Wenigstens für den Aufstieg trifft das zu: Zum Hrebienok-Gipfel gibt's vom Hotel Grand aus seit 1908 eine Standseilbahn6), ein Zugpaar, das von Stahlseilen gezogen wird.
Tatranska Magistrala: Vier Tage Gehzeit gelten als "optimal" für die 85 Kilometer. Seit den 30er-Jahren ist der Weg markiert7) - und Scharen von Besuchern drängeln sich auf manchen Teilstücken, auf denen der Rucksack-Trekker zum Exoten degradiert wird: Väter auf Turnschuhen, den schnaufenden Achtjährigen mit dem hochroten Kopf hinter sich her zerrend, ein Stück weiter telefoniert einer im Gehen mobil, hinter der nächsten Biegung gönnt sich Mama eine Zigarette - Tourismus, die Masse. Das bleibt nicht: Auf den Geröll-Abgängen unterhalb der Slavkosky-Spitze (2452 m) wird die Luft dünner, Turnschuh-Sohlen machen sich dort Schritt für Schritt in Fetzen davon, die Trekker sind wieder unter sich. Bis zum Horsky-Hotel Sliezsky dom8) (Bild rechts).
Peter J. Gollnik, Sept./Okt. 2006
► (II) Wo der Papst aufs Klo ging