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Dies ist die Schilderung einer (mehrteiligen) Wanderung: Von den Karpaten durch die Hohe Tatra, die Sudeten, bis ins Erzgebirge, den Böhmer Wald. Und es ist auch die Schilderung einer Begegnung mit der Geschichte.
Hochgebirge - das heißt auch Gefahr, das heißt auch
Opfer. Mehr
als 400 Namen sind auf dem "Symbolischen Friedhof"
unterhalb des Popradsé pleso auf beinahe 300 Gedenkplatten
aufgeführt - abgestürzt, erfroren, erschlagen in der
Hochgebirgswelt der Hohen Tatra. Ernst Gottlieb, zum Beispiel,
"gestürzt am 17. August 1922 von der Konsticsta",
oder Stanislaw Kougil aus Olomouc, der am 2. Mai 1998 am Gerlachovsky
sein Leben ließ. "Die Berge waren ihr Leben, die Berge
waren ihr Schicksal" steht auf einer Platte für Lars
und Dirk Gneupel aus Gera in Thüringen, 1973 und 1976 geboren,
am 14. Oktober 1996 am Zapadne Stena zu Tode gekommen. Und das
ist "nur" eine kleine Auswahl: "Bei der Massenentwicklung
des
Tourismus
und Bergsteigung in den letzten Jahrzehnten ist es nicht möglich,
dass jeder verstorbene Bergsteiger und Tourist ein Gedenkschild
auf dem Symbolischen Friedhof hätte", sagt die Nationalparkverwaltung
TANAP, Trägerin des in Zirbelkiefern und Vogelbeerbäumen
eingebetteten Hains.
Strbské
pleso (Tschirmersee):
Eine gute Stunde über die mit Schautafeln zum Naturlehrpfad
gestaltete Tatranska Magistrala zur höchstgelegenen Gemeinde
in der Tatra (1354 Meter), Köurort, Wintersportzentrum,
grauenhaft anzusehende Hotelklötze - und
eine Zahnradbahn fünf Kilometer hinunter und 430 Meter tiefer
nach Strba (Ticket: 30 Kronen).
Wanderer, kommst Du nach Strba, meide Pensionen, die schon 300 Meter hinter dem Bahnhof mit riesengroßer Aufschrift werben! 700 Kronen, ohne Kaffee, ohne Heizung, nix Handtücher, null Seife - die "Massenentwicklung des Tourismus" zeigt Wirkung.
Wie
überhaupt im Gebiet der administrativen Nicht-Stadt Vysoké
Tatry. Schon wird darüber diskutiert, mehr und mehr und
noch mehr Hotels, Skipisten, Freizeitparks, Unterhaltungseinrichtungen
in die Fläche zwischen Strbské pleso und Smokovec
zu setzen, die am 19. November 2004 ein Wirbelsturm innerhalb
kürzester Zeit platt gemacht hatte: 50 Kilometer lang, fünf
Kilometer breit ist das Band der Verwüstung, der Sturm ging
einmal hin und einmal her, ein Viertel des Waldes des gesamten
Hohen Tatra war in Minuten gefallen - flachwurzelnde Fichten
zumeist,
Monokultur zur wirtschaftlichen Ausbeutung. Die Folgen: Unübersehbar.
Borkenkäferbefall, Fortfall des Lebensraumes heimischer
Tiere, Verlust der klimatischen Funktion, unbekannt die Auswirkung
auf den Wasserhaushalt; am 30. Juli 2005 fegte ein Feuer durch
die Wüstenei - eine weggeworfene Zigarette hatte einen drei
Tage dauernden Flächenbrand in den Waldresten (und den Neuanpflanzungen)
ausgelöst.
Aufmarschgebiet war das hier einmal, als das Habsburger Reich zerschlagen war, als es neben Deutschen, Ungarn, Ruthenen, Ukrainern, polnischen Goralen, neben damals 80.000 Juden, heute noch 400.000 Roma, als es Slowaken und Tschechen gab und auch 20 Jahre lang einen Tschecho-Slowakischen Staat. Der war 1919 nach Kriegsende in St. Germain aus Böhmen, Mähren, dem österreichischen Schlesien, den Gebieten von Slowaken und Karpato-Ukrainern zusammen gekittet worden: Eine Völker-Vereinigung, die den Keim für Konflikte von Geburt an mit sich brachte - was in das Vier-Mächte-Abkommen über die Übergabe der Sudeten-Gebiete an Hitler-Deutschland mündete. Nachdem auch noch Polen große Stücke um Teschen, Ungarn Teile der südlichen Slowakei annektiert hatten, gab Großdeutschlands Kanonen-Drohen dem jungen Staat den Rest - die Slowakei trennte sich von Tschechien, schloss einen "Freundschaftsvertrag" mit dem Hitlerreich, Tschechiens seniler Präsident Hacha gab am 14. März 1939 die Freiheit seines Volkes auf. Fünf Wochen später marschierten Gebirgsjäger aus Deutschland in Poprad ein, und die in Paris von der Exil-Parteiführung der deutschen Sozialdemokraten gesammelten Deutschlandberichte listen im Mai 1939 auf: "In einem bei Poprad gelegenen Flughafen ist zur Zeit das Jagdgeschwader 165 mit 216 Maschinen stationiert. Zum Aktionsbereich ... würde das neue polnische Industriegebiet bei Tarnow gehören"...
Aufmarschgebiet - ein Stück weiter nach Westen auf der Tatranska Magistrala rechtsab ins Vazecka-Tal hinein: Bunker im Wald; nach Süden, nahe Vychodná: ein deutscher Soldatenfriedhof.
Peter J. Gollnik, Sept./Okt. 2006
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